Eine Halligfahrt

Oktober / November 2012

 

Sonnabend, 27. Oktober 2012

DEileen Ógas Kind ist aus dem Haus, jetzt fängt der Urlaub an”, meint Eileen Óg und kriecht mit Jan Hinrich unter eine Decke. Ein lästerhaftes Schaf, unsere Reisebegleiterin, denn ‘das Kind’ ist immerhin schon siebzehn, hat einen Führerschein und kutschiert seine Eltern jetzt 650 Kilometer gen Süden nach Darmstadt.

Am Mittwochabend waren wir in Tönning eingetroffen, und die drei Menschen, denen unser Nis Puk seit einer Woche Unterschlupf gewährt hatte, hatten uns mit Krabben und Rührei willkommen geheißen. Vor fünf Jahren waren sie die ersten Gäste im Huus gewesen – da stand es noch fast leer, und sie mussten sich ihre Betten selbst zusammenbauen. Seither ist manches Wasser die Eider hinunter geflossen.

Im letzten Monat hatten wir eine neue Heizung einbauen lassen. Vorgestern kam der Heizungsmonteur, um noch ein paar Einstellungen vorzunehmen, gefolgt vom Schornsteinfeger, um sein OK zu geben. Das tat er am Ende auch, wenngleich er eine Inspektionsklappe im Abzugsrohr um ein paar Zentimeter verlegt haben wollte. Was bei dem Installateur heute Morgen ein Kopfschütteln hervorrief, doch ist man als Schornsteinfeger in der stärkeren Position. So waren wir hinreichend – vor allem mit Warten – beschäftigt, bis wir unseren Gästen noch ein bisschen was von Eiderstedt zeigten und sie am Abend in den Roten Hahn ausführten.

Und gestern? Da hatten Britta und mien Deern in Friedrichstadt Frau Pölkow in ihrem Modestübchen Moderat glücklich gemacht. Der Nachmittag war einem gemeinsamen Ausflug zu Andresens Schankwirtschaft in Katingsiel gewidmet, denn ohne Opa Wilhelms Eiergrog zu testen, wollten die drei Nordfriesland nicht den Rücken kehren.

*  *  *

Nun sind sie abgereist, die Sonne scheint, und was tun wir? Das übliche, wenn wir ohne Gäste sind: wir machen einen Ausflug in die Husumer Baumärkte. Nach fünf Jahren ist ein neuer Bambusteppich fürs Wohnzimmer vonnöten, und der Toilettendeckel im unteren Bad will auch ausgetauscht werden.

Dieser neue Deckel sieht zwar edel aus, doch wie viele Ehekrisen er ob des Fehlens einer logischen Einbauanleitung wohl schon ausgelöst haben mag? Wir kamen gerade noch einmal davon, nachdem wir uns darauf geeinigt hatten, dass zwei beiliegende, im Einbau-Piktogramm nicht aufgeführte Teile keineswegs überflüssig sind und ihnen in einem Try-and-Error-Verfahren eine Funktion zuweisen konnten, die ihn in Position brachte.

So scheint nach fünfundzwanzig Ehejahren die Sonne am Nachmittag immer noch. Wir radeln durchs Katinger Watt und entdecken die Brücke, an der das historische Fahrrad meines Mädchens mit einem 35 Jahre alten Aufkleber Stoppt die Atomindustrie in einem Gästeverzeichnis der Halbinsel gegen die Atomkraft demonstriert, nachdem es ein Feriengast vor dem Geländer dieser Brücke fotografiert und damit den ersten Preis beim Fotowettbewerb der Tourismuszentrale gewonnen hatte.

Katinger Watt, © 2012 Juergen Kullmann

Nach einem Spaziergang am Abend in den Sonnenuntergang über der Eider sind wir hinreichend müde. Pasta in roter Sauce mit Sardellen und Parmesankäse sowie eine Flasche Rotwein tun das ihre hinzu.

Eiderpromenade Tönning, © 2012 Juergen Kullmann

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Sonntag, 28. Oktober 2012

Wir heiligen den Sonntag, indem wir den Garten putzen. Anschließend stehen zwei Säcke Grünzeug für den morgigen Abtransport bereit – und ich habe es im Kreuz. Es versteht sich von selbst, dass das nichts mit dem Alter zu tun hat! Bewegung soll helfen, also schwingen (den Begriff bitte nicht zu wörtlich nehmen) wir uns auf die Fahrräder und es geht entlang der Eider Richtung Sperrwerk, das Café Mare im Katinger Watt oder das Koog Café auf Dithmarscher Seite als Ziel in Aussicht genommen.

Hinter der großen Kurve kommt auf dem asphaltierten Deich das Eidersperrwerk in Sicht. Gegenwind. Starker Gegenwind und Zurückschalten in den ersten Gang. Da macht es Krrrrk, und ich habe den Schalthebel in der Hand. Nur noch der schwerste Gang funktioniert. Das mag ich mir nicht zumuten, und so kehren wir um. Am Abend gibt es Sauerfleisch vom Lamm (aus dem Glas) an Bratkartoffeln und Remoulade (hausgemacht).

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Montag, 29. Oktober 2012

Den ganzen Tag über Dauerregen – und wir wollen morgen für drei Tage auf eine Hallig! Da heißt es, mit ein paar Einkäufen vorzusorgen: Ein neues Paar Schuhe (gestern war mir bei einem die Sohle gebrochen) von Schuh Friedrich in Garding und ein warme lange Unterhose aus dem Kaufhaus Stolz in St. Peter.

Am Nachmittag bringe ich das Fahrrad zu Zweiradtechnik Krause in Tönning, geöffnet montags bis freitags von 14 bis 18 Uhr. Hmm, meint der Meister, der Schalthebel sei wohl auch nicht aus diesem Jahrtausend. Recht hat er, denn das Rad stammt aus dem Jahr 1988. Einen solchen Hebel gebe es schon lange nicht mehr, fährt er fort, doch er werde mal in seinem historischen Fundus suchen und ansonsten einen neuen Seilzug mit einem anderen Schaltgriff einbauen. Irgendetwas werde ihm schon einfallen. Ich übergebe ihm das Rad zu treuen Händen; wenn wir Ende der Woche aus Langeneß zurück sind, werde ich wieder vorbeischauen.

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Dienstag, 30. Oktober 2012

Kaum zu glauben, nach dem gestrigen Großen Regen ist der Himmel blau und die Sonne scheint. “Klar doch”, meint Eileen Óg, ihr Freund Boo! (ein freundliches, kleines Halloween-Gespenst, das sie einst in Irland kennengelernt hatte) habe gestern nach ihrem Konzept alles Wasser vom Himmel gespukt, damit wir auf Langeneß schönes Wetter haben.

Hauke-Haien-Koog, © 2012 Juergen KullmannUnd so fahren wir durch ein sonniges Nordfriesland nach Schlüttsiel; es ist schon Jahre her, dass wir über Husum hinausgekommen sind. Etwas eintönig ist die Fahrt durch die Reußenköge – besonders für Radfahrer, meint mien Deern, sich an mehr als dreißig Jahre zurückliegende alte Zeiten erinnernd. Dann kommt der Hauke-Haien-Koog, benannt nach dem tragischen Helden aus Storms letzter Novelle Der Schimmelreiter. Indianersommer an der Nordsee, ein Stopp am Straßenrand zum Fotografieren. Links der Nordseedeich mit auf der Dammkrone weidenden Schafen, rechts das Marschenland mit flachen Seen – und sieh mal einer an, Eileen Óg, nicht alle Schafe sind so wasserscheu wie du! “Das sind keine Schafe”, protestiert unser Schaf etwas pikiert, “das sind nordfriesische Marschen-Wollseehunde. Noch nie davon gehört?”

Fünf Euro kostet das Parken für vier Tage am Schlüttsieler Fährhaus. Morgen, am 1. November, ist Langeneß vom Rest der Welt abgeschnitten. Tagesausflügler gibt es zu dieser Jahreszeit keine, und die nächste Fähre verkehrt erst wieder am Donnerstag. Ein bärtiger Alleinreisender, heute in aller Herrgottsfrühe im tiefsten Sauerland losgefahren, wartet gleichfalls auf die Fähre. “Fünf Tage Hooge”, erzählt er, “ein paar Tage völlig ausspannen und nichts tun.” Seine Kinder seien in Dortmund zur Waldorfschule gegangen und hätten vor Jahren eine Klassenfahrt nach Hooge gemacht. Jetzt brauche er dringend eine Auszeit, und nach dem, was sie vom Leben auf der Hallig berichtet hätten, sei sie genau der richtige Ort für ihn.

Die Fähre legt an, ein Traktor zieht Wagen mit Sperrmüll und Altglascontainer von Bord. Dann lässt man uns aufs Schiff. Wir verziehen uns auf die Hochplattform über den Fahrzeugen, die nun auf die Fähre rollen. Sollte das Schiff untergehen, ragen wir noch aus dem Wasser empor.

Unangekündigt laufen wir nach einer Stunde die Hallig Gröde an, ein Stopp, der zu keiner Jahreszeit auf irgendeinem Fahrplan steht. Mit neun Einwohnern ist sie die kleinste selbständige Gemeinde Deutschlands. Mitten auf dem winzigen Eiland steht eine Warft mit drei Gebäuden, vom Anleger vielleicht fünfhundert Meter entfernt. Der Weg zu ihr ist der einzige Fahrweg, und doch laden sie ein Auto aus! Aus der Inspektion zurück? Weiter geht es.

Hallig Hooge, © 2012 Juergen Kullmann

Wie brennend Silber funkelte das Meer,
Die Inseln schwammen auf dem hohen Spiegel,
Die Möwen schossen blendend hin und her,
Eintauchend in die Flut die weißen Flügel.

Wie in diesem Gedicht von Theodor Storm taucht jetzt Hooge aus dem Meer auf, wo uns der bärtige Aussteiger verlässt. Dann legt die Fähre wieder ab. Gegen halb drei gehen wir in Langeneß von Bord und stiefeln vom Anleger an der Rickswarf – auf allen anderen Halligen sagt man Warft, nur die Langeneßer lassen das ‘t’ am Ende weg – zum Gasthof Hilligenley hoch. Zimmerübernahme. So ganz glücklich wirkt mien Deern nicht: die Heizung ist noch nicht an, und es gibt keine tea and coffee making facilities.

Hallig Langeneß, Warf Treuberg, © 2012 Juergen KullmannDer Himmel ist grau geworden. Trotz des heftigen Winds lassen wir uns vom Hausmeister die im ‘Schnupper-Angebot’ inbegriffenen Leihfahrräder geben und brechen zu einer ersten Erkundung des westlichen Teils der Hallig auf, der einst die eigenständige Hallig Nordmarsch bildete. Stille und Einsamkeit. Über einen der vielen Gräben hinweg, die man hier Schlote nennt, zeigt sich in der Ferne die Warf Treuberg. Sie besteht nur aus einem einzigen Hof, ein langgestrecktes, reetgedecktes Gebäude, das unter dem diesig-grauen Himmel mit einem hellen Sonnenfleck einen melancholisch verlassenen Eindruck macht. Und in der Tat ist der Hof seit längerer Zeit nicht mehr bewohnt. Eine große Halligsanierung hat er unverändert überlebt und auch die letzte Warferhöhung nicht mitgemacht.

Es sieht so aus, als würde es gleich zu regnen beginnen, und so radeln wir zu unserem Gasthaus am Ende des Universums zurück. Von der Eingangtür aus noch ein Blick auf den Anleger an der Rixwarf, rechts von ihm versinkt unter grauem Gewölk die Sonne im Meer.

Langeneß Rixwarf, © 2012 Juergen Kullmann

Doch nun rein in die gute Stube. Ein Cappuccino wärmt von innen, und das Stück hausgemachter Apfel-Käsekuchen vertreibt den aufkommenden Hunger, denn abgesehen von einem Lachsbrötchen auf der Fähre haben wir seit dem Frühstück nichts gegessen. Nach dem Kaffee geht es noch einmal raus, während Langeneß in die Dunkelheit gleitet.

Langeneß Rixwarf, © 2012 Juergen Kullmann

Zum Dinner gibt es – Eileen Óg hört gerade zu – Wolfsfilet.

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Mittwoch, 31. Oktober 2012

Langeneß, die ‘lange Nase’, ist etwa zehn Kilometer lang und bis zu 1.400 Meter breit. Zwei Straßen gibt es, die im Straßenverzeichnis des Kreises Nordfriesland sogar eine Nummer haben und von denen Auffahrten zu den Warfen hochführen: Die K44, die von West nach Ost und dabei dem Nordrand meist etwas näher gelegen über das schmale Eiland führt, und die K58, die den Fähranleger am südwestlichen Zipfel der Hallig mit dieser Kreisstraße 44 verbindet. Alle paar hundert Meter gibt es eine Ausweichstelle für den Fall, dass Gegenverkehr in Sicht kommt, und dazu ein Hinweisschild, dass das auch für Begegnungen mit Radfahrern gilt – es sei denn, es sitzt einer von den Halliglüüd am Steuer. Die scheren sich nicht darum und fahren mit zwei Rädern über den grünen Randstreifen.

Doch ich habe vorgegriffen, denn zunächst einmal schaut mien Deern nach dem Aufwachen aus dem unter Anwendung von etwas Gewalt doch noch zu öffnenden Dachfenster und fotografiert die Mayenswarf in der Ferne und den Kindergarten der Wattwürmer gleich nebenan.

Blick aus dem Fenster des Gasthofes Hilligenley, © 2012 Juergen Kullmann

Eine sehr steife Brise begrüßt uns, als wir nach dem Frühstück vor die Tür treten. So sind wir die einzigen, die auf die Idee kommen, sich die im Pensionspreis inbegriffenen Fahrräder herausgeben zu lassen. So schlimm wie damals die Fahrt gegen den Wind von Böhl nach Tönning wird es schon nicht werden, denken wir, und diese lange Nase ist mit zehn Kilometern nur halb so lang. Wenn es nicht mehr geht, könne er uns auch vom anderen Ende der Hallig abholen, grinst der Hausmeister. Von Swinemünde hat es ihn hierher verschlagen. Von Swinemünde? Wie um alles in der Welt kommt ein Pole an einen Job auf Langeneß? will mien Deern wissen. Durch einen Tipp von einem Arbeitskollegen, erzählt er, der gewusst habe, dass hier jemand gesucht wird. Zuvor sei ihm die Existenz von Halligen unbekannt gewesen.

Hallig Langeneß, Warf Treuberg, © 2012 Juergen KullmannSo schlimm ist das mit dem Wind gar nicht; er kommt von Norden, und das heißt Seitenwind. Wir passieren die verlassene Warf Treuberg und sind jetzt auf dem Terrain der alten Hallig Langeneß, die nach dem Zusammenwachsen von ursprünglich drei Halligen dem Gesamtgebilde den Namen gegeben hat. Eine kleine Pause auf der Ketelswarf. Das Museum ist noch geschlossen, doch der vierbeinige Chef der Warf sagt guten Tag, dankbar für jeden Besucher auf seinem Eiland. Wir versprechen, auf dem Rückweg noch einmal vorbeizuschauen und radeln weiter zur Hunnenswarf.

Hier hat der Halligkaufmann seinen Laden mit Waren des täglichen Bedarfs, die vermutlich über den Lorendamm zu ihm kommen und zu denen auch Schokolade und Wein gehören. Damit decken wir uns ein, denn nicht ohne Grund haben wir eine Fahrrad-Gepäcktasche mit auf die Hallig gebracht. Im kleinen Verkaufsraum steht allerdings nicht der Kaufmann, sondern ein schwarzhaariges junges Mädchen mit südosteuropäischem Einschlag. Wir tippen auf Türkei. Da reist man nun ans Ende der Welt, um echte Halliglüüd kennen zu lernen, und von den ersten vier, denen wir begegnen, ist nur einer ‘echt’, nämlich der Wirt von Hilligenley. Seine Bedienung hinter der Theke hatte es aus NRW nach Langeneß verschlagen.

Auf unserem Weg nach Osten passieren wir die Petershaitzwarf, auf ihr ein schönes Kapitänshaus aus dem Jahr 1771, wie man am Giebel liest. Es ist nicht ganzjährig bewohnt und stand vor einigen Jahren zum Verkauf. 800.000 Euro verlangte damals der Besitzer; ob es immer noch zu haben ist?

Wir erreichen das ‘East End’ mit dem Lorenbahnhof, dem Endpunkt der Lorenbahn Dagebüll–Oland–Langeneß. Will ein Halligbewohner seine Lore nutzen, ist sportliche Betätigung angesagt. Die Loren stehen ungeordnet hintereinander, und so heißt es schieben und rangieren, bis die eigene vorne steht. Droht Landunter, werden die Loren mit Traktoren auf die Warfen ihrer Besitzer gebracht, denn dann steht der Damm unter Wasser. Doch jetzt kommt gerade der Intercity aus Oland: alle aussteigen, Endstation, Ende des Universums.

Hallig Langeneß, Lorenbahnhof, © 2012 Juergen Kullmann

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Für 13.30 Uhr ist eine Führung im Tadsen-Museum auf der Ketelswarf angesagt, die letzte in diesem Jahr – Zeit also, sich auf den Weg zurück zu machen. Ein Zwischenstopp auf der Kirchwarf. Die erste Kirche der Gemeinde Langeneß lag nordwestlich der Hunnenswarf, dort, wo jetzt der Kaufmann wohnt, und ging bei der Ersten Grooten Mandränke von 1362 verloren. 1666 entstand ein Neubau auf der heutigen Kirchwarf, auf deren Fundament 1894 die gegenwärtige Kirche errichtet wurde. Weder der Leve Gott noch der Pastor werden böse sein, wenn ich ein Foto vom Kirchenschiff mit der beeindruckenden Deckenmalerei mache, auch die Grabplatte in friesischer Sprache im Vorraum fordert eines ein.

Hallig Langeneß, Segellore, © 2012 Juergen KullmannNun aber zum Kapitän-Tadsen-Museum. Vor dem Haus steht eine Segellore, ob es die von Käpt’n Magda ist? Als solche ging die auf der Nachbarhallig Oland geborene Magda Matthiessen in die Geschichte ein, denn sie war die Kapitänin der Segellore, die von 1945 bis 1970 auf dem Schienendamm zum Festland verkehrte. Blies der Wind ungünstig, musste die Lore mit ihrer Fracht geschoben werden, und die Passagiere hatten ungeachtet von Rang und Namen mitzuschieben.

Hallig Langeneß, Vor dem Tadsen-Museum, © 2012 Hildegard Vogt-KullmannGleichfalls vor dem Haus sitzt ein Tourist, wartet, dass die Tür geöffnet wird, und macht auf Kapitän Tadsen. Das 1741 erbaute und zweimal durch Sturmfluten zerstörte Haus wurde nach dem Tod der letzten Bewohnerin Maria Olesen, eine geborene Tadsen, restauriert und zu einem Museum gemacht. Es ist das einzige Haus auf der Hallig, das mit seinem Wohn- und Stallteil komplett erhalten ist. Maria starb 1981 im Alter von neunzig Jahren, einen Tag, nachdem sie wegen eines schweren Landunter von ihrer Familie auf eine Nachbarwarf geholt worden war.

Was es zu sehen gibt, zeigen Fotos besser, als ich es mit Worten beschreiben kann. Zu den weiteren Ausstellungsstücken gehört der bis in die 1990er Jahre noch in Betrieb gewesener Elektrorasenmäher eines Halligbewohners, wie ihn Fred Feuerstein hätte sein Eigen nennen können: vier Vollscheibenräder aus Holz und eine sich drehende Sichel, angetrieben von einem ausgedienten Waschmaschinenmotor.

Kapitän-Tadsen-Museum, © 2012 Juergen Kullmann

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Am Abend gibt es für uns im Gasthof Hilligenley ein Candlelight-Dinner an einem speziell für uns eingedeckten Tisch, Bestandteil des dreitägigen Schnupperangebots, das wir gebucht hatten.

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Donnerstag, 1. November 2012

Unser letzter Tag auf der Hallig, und er wird bis zum Mittag zu einem grauen. Während sich noch ein paar blaue Streifen und Flecken am Himmel zeigen, wandern wir querfeldein zum Leuchtturm auf der nicht mehr bewohnten Alt-Peterswarf und passieren seitab die Mayenswarf.

Langeneß, Weg zum Leuchttrum, © 2012 Juergen Kullmann

1902 aus Backsteinen errichtet, wurde der Leuchtturm im ersten Weltkrieg durch eine Seemine so stark beschädigt, dass er zwar Risse bekam und beschlossHallig Langeneß, Leuchtfeuer Nordmarsch, © 2012 Juergen Kullmann in Konkurrenz zum Turm von Pisa zu treten, bei allem aber standfest blieb. Erst 1953 wurden die Schäden durch eine untere Mauerummantelung behoben, aber ein wenig neigt er sich immer noch nach rechts, wenn man sich ihm von Osten nähert. Beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Tönning wird das unter Denkmalschutz stehende Bauwerk als Leuchtfeuer Nordmarsch geführt.

Während wir zu unserem Gasthaus Hilligenley zurück bummeln, zieht sich der Himmel weiter zu. Flood steggt höger! Wir bezahlen unsere Rechnung per Karte, was hier so funktioniert, dass sich der Wirt die Daten von der Sparkassenkarte auf einem Notizblock notiert.

Hallig Langeneß, Anleger Rixwarf, © 2012 Hildegard Vogt-KullmannEin Blick aus dem Fenster. Draußen wird es ungemütlich, die Wellen schlagen immer höher an Land. Jetzt naht die Fähre – mit mehr als einer Stunde Verspätung. Sie hatte sich heute Vormittag irgendwo festgefahren, erzählt die Bedienung, die es aus Nordrhein-Westfalen hierher verschlagen hat und uns nun zwei Pharisäer bringt. Vom Tisch hinter meinem Rücken dringt ein Gespräch zu den Beziehungen zwischen Amrum und Föhr an mein Ohr. “Erst baggern die bei uns den Sand ab”, schimpft jemand, “und dann kommen die Föhrer daher und beschweren sich, er sei zu fein.”

Die Fähre legt an, und eine Menschenkolonne wandert vom Schiff zu unserem Gasthof hoch und durch die Stube nach nebenan in den Saal: die Teilnehmer an einer Insel- und Halligkonferenz, die in diesem Jahr auf Langeneß stattfindet und im Zeichen der Zukunftssicherung der Inseln und Halligen steht. Doch erst einmal geht es um das leibliche Wohl der Teilnehmer an der Tagung, unter ihnen ein etwas aus dem Rahmen fallender geschniegelter Herr, vermutlich aus der Politik. Wir tippen auf Staatssekretär oder etwas in dieser Art. Unzählige Terrinen mit Erbsensuppe und Bockwürstchen werden nach nebenan getragen, während wir uns auf den Weg zur Fähre machen.

Wir hätten auch nicht länger bleiben können, denn heute Nacht ist die Hallig ausgebucht.

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2. bis 6. November 2012

Wedder tohuus im Huus. Am Freitag schaut ohne Anmeldung der Heizungsinstallatuer vorbei, der in unserer Abwesenheit ein paar Restarbeiten am neuen Heizkessel erledigt hatte, und erklärt uns die Bedienung – wobei wir nach dem Studium der Anleitung feststellen, dass wir die Computersteuerung in einigen Punkten besser verstehen als er.

Was gab es sonst noch? Nach der Rückkehr von Langeneß bin ich etwas schreibmüde geworden. Mein Fahrrad ist wieder heil – mehr oder weniger. Der abgebrochene Schalthebel sei nicht mehr erhältlich, erklärte der Meister, und so baute er einen anderen ein, der allerdings den schnellsten Gang nicht ansprechen kann. Ursprünglich war es der leichteste, den er außen vor gelassen hatte, doch das ließ ich mir ändern.

Am Montag ging es wieder einmal zum Einkaufen, einen Karton Sekt für Feriengäste und ein paar Dinge mehr. Dann auf zum Mittagessen nach Garding – dieses Mal nicht “mal was ganz anderes”* sondern Wilde Röstis, sprich Röstis zu Wildschwein. Frau Kerlin erzählt von geplanten Renovierungen, die ersten größeren seit einem Vierteljahrhundert, woraus wir schließen, dass uns die Röstis aus Kerlins Kupferpfanne noch eine Weile erhalten bleiben.

Derart gestärkt unternehmen wir einen Spaziergang durch die City von Garding. Der Blick in ein Schaufenster erinnert an einen typisch irischen Hardwareshop des letzten Jahrhunderts. Mien Deern ist fasziniert:

Töpfe, Schüsseln, Werkzeuge, Schneeschieber, Bürsten, Wäscheklammern, Geschenkartikel, Porzellan … all das ist in den zwei Schaufenstern ausgestellt. Welche Geheimnisse und Schätze sind dann wohl drinnen zu erwarten? Mich interessiert ein kleiner 5-Liter-Emailleeimer im Landhausstil, weiß mit blauer Kante, der sich mit seinem shabby-chic als Abfalleimer oben im Bad gut machen würde.

Wir treten ein und besichtigen den Rest der Schätze, plauschen mit dem Inhaber, derweil er uns drei Briefkastenschlüssel kopiert. Das Problem seien die Lieferanten, erklärt er, doch so lange sein Hauptlieferant noch existiere, würde auch er weitermachen. Eine wahre Fundgrube für Alles und Jedes! Sogar einen echten Straußenfedernstaubwedel gibt es hier.

Wir kommen bestimmt wieder, doch jetzt gehen wir erst einmal mit unseren drei Schlüsselkopien, einem blauen Emailleeimer und acht Kaffeebechern aus Porzellan (indisch blau). Während wir an der Kasse stehen kommt ein Mann mit einer Bohrmaschine in der Hand herein und marschiert zu einem Regal mit irgendwelchen Aufsatzteilen. Auch so etwas gibt es hier, und ansonsten gilt der Spruch, den ich vor langer Zeit bei Dieter Moor gelesen habe: Wir haben alles, was Sie brauchen, und was wir nicht haben, brauchen Sie auch nicht!

Am frühen Abend stehen wir auf dem Deich bei Vollerwiek. Die Sonne geht unter, und dort, wo das Meer ins Weltall übergeht, fährt ein Schiff über die Kante:

Katinger Watt, © 2012 Juergen Kullmann

“Es kommt ein Schiff, geladen …”, das könnte unsere diesjährige Weihnachtskarte für die Feriengäste werden.

* Lamm Provencale auf Schweizer Rösti, wie wir es seit Menschengedenken hier ordern. Zurück

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Letzte Bearbeitung 08.02.2019