Gruppenreise zum Jahreswechsel

– 2008 / 2009 –

 

Dienstag, 23. Dezember 2008

Die kilometerlangen Staus zwischen Bremen und Hamburg gehen an die Substanz. Mit einem (hoffentlich) abklingenden Hexenschuss im Rücken und dem immer wieder streikenden ersten Gang des mehr als zehn Jahre alten Gefährts im Schritttempo über die Autobahn zu schleichen, ist mehr als nur nervig.

Nach einer Pause zwecks Nahrungsmittelaufnahme im Autohof Bockel übernimmt mien Deern das Steuer. Wir verlassen die A1, nun geht es nach Norden und durch den Elbtunnel. Keine Staus mehr, doch es ist dunkel geworden und beginnt zu nieseln. Das Licht entgegenkommender Fahrzeuge blendet auf der nassen, etwas verschmierten Frontscheibe. Einem Hinweisschild zufolge fahren wir über den Nord-Ostseekanal, sehen ihn aber nicht in der mondlosen Nacht. Vorgestern feierte man bei den Nachfahren der Kelten die Wintersonnenwende. Die wenigen Auserwählten, die in die 5000 Jahre alte Grabkammer von Newgrange gelassen wurden um den ersten Sonnenstrahl sehen, der nur an diesem Tag für eine Viertelstunde in sie hineindringt, sahen auch nichts und waren vermutlich sehr viel enttäuschter. Auch dort hatte der Himmel den Vorhang zugezogen.

Müssten wir nicht schon längst daheim sein, oder führt die Straße, zu der die Autobahn vor einer Weile wurde, ins Nirgendwo? Lunden zum Ersten, wir sind wohl doch auf dem rechten Weg. Lunden zum Zweiten, und schon haben wir die Eider unter uns, den Grenzfluss zwischen Schleswig und Holstein, Nordfriesland und Dithmarschen, dem alten dänischen Reich und dem römischen deutscher Nation. “Steuerbord” ruft Eileen Óg, unser Navigationsschaf und Anführerin der Gruppenreisenden auf der Rückbank. Wir verlassen die Bundesstraße und fahren in Tönning ein.

Einzukaufen gibt es nichts, die Läden haben längst die Schotten dichtgemacht. Wir drehen zur Freude von Eon Hanse die Heizung hoch und räumen unsere mehr als nur sieben Sachen aus dem Auto ins Haus, während es sich die mitgereiste Bagage (ich höre Proteste ob des Begriffs) in einem Korbsessel bequem macht und sich von Jan Hinrich, der wie wir hören unseren Nis Puk beim Aufpassen auf uns Huus tatkräftig unterstützt hat, berichten lässt, was sich in den vergangenen Wochen getan hat.

Gruppenreisende, © 2007 Juergen Kullmann

Gruppenreisende von links nach rechts: Sir Edward, Maureen, Paul, Eileen Óg, Elvira, Sergeant Pepper, Jan Hinrich

Zweimal habe es geschneit, erzählt Jan Hinrich und streicht dabei über seine blaue Latzhose – fast – so gut wie – aber glatt sei es auf jeden Fall gewesen, und Herr A. habe gestreut. Da hätten Nis Puk und er genau aufgepasst. Und Herr W. habe im Heizungsraum das überflüssige zweite Fenster zugemauert und die Wand isoliert. Und der zweite stellvertretende Bürgermeister von Vollerwiek den kaputten Balken über den Rosenbogen neu gemacht und eine Tür für den Pavillon gezimmert. Ein anstrengender Herbst sei das für ihn und Nis Puk gewesen, bei dem, was sie alles hätten beaufsichtigen müssen. Und einmal sei Nis Puk durch ein Gepolter auf dem Dach aus dem Mittagsschlaf gerissen worden, als der Schornsteinfeger ein Dohlengitter in den Kamin schob.

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Mittwoch, 24. Dezember 2008

Der Heilige Morgen ist angebrochen, und mein Mädchen baut die Krippe auf – nach eingehender Diskussion mit dem Kaminofen als Kulisse. Womit feststeht, dass er auch zu diesem Jahreswechsel seiner ursprünglich angedachten Aufgabe nicht nachkommen wird. Das wolle er aber auch stark hoffen, meint unser Weihnachtsengel Erik, der vor der Ofenklappe sein “Fürchtet euch nicht!” erschallen lässt. Zu seinen unbestrittenen Qualitäten gehört es leider nicht, feuerfest zu sein.

Erik der Weihnachtsengel, © 2008 Juergen KullmannDass Erik ein der Weihnachtsengel ist, war uns lange Zeit unbekannt, bis Eileen Óg damit herausrückte und Erik sich daraufhin outete. In seinem ersten Beruf hatte er als Schutzengel für die Saat gearbeitet, doch wenn er auf dem Acker die Arme ausbreitete und “Fürchtet euch nicht” rief, kam umso mehr Federvieh angeflogen, so dass seine Kollegen auf dem Felde meinten, sein Handeln sei eher kontraproduktiv. Das machte ihn ganz traurig, bis ihm jemand den wertvollen Tipp gab, auf Weihnachtsengel umschulen, da könne er den Spruch besser anbringen. Das tat er dann auch, und nach seiner Miene zu urteilen fühlt er sich ganz wohl in dem neuen Job – ein gewisser Abstand zu offenem Feuer vorausgesetzt.

Hafen Tönning, Weihnachten 2008, © 2008 Juergen KullmannAlle Einkäufe sind erledigt, und wir wandern um den Hafen. Gleich mehrere Krabbenkutter haben festgemacht. Das sieht man recht selten, denn meist liegen sie draußen vor dem Sperrwerk. Vielleicht sind sie im Hafen, weil die Leute vom Sperrwerk Ebbe und Flut heute abgestellt haben, insbesondere die Ebbe, so dass sie trotz Niedrigwasser genug davon unter dem Kiel haben. Als die Friedrichstädter vor gut einem Jahr für ihre Brückenreparatur einen Schwimmkran brauchten, war es ein Problem, ihn innerhalb einer Flutperiode die Eider hoch nach Friedrichstadt zu kriegen. Warum hatte man damals nicht auch die Eider aufgestaut? Ob die Tönninger Krabbenfischer bessere Connections zu den Sperrwerksleuten haben?

Kling – klang – kling – klong – – – süßer die Glocken nie klingen. Die Schranke am Bahnhof vor der kleinen katholischen Kirche senkt sich und läutet die Weihnachtsmesse ein. Wie schon im vergangenen Jahr ist der für Eiderstedt zuständige Gemeindepastor verhindert und lässt sich von einem Kollegen im Rentenalter vertreten. Dem Vernehmen nach war das im vor-vergangenen und vor-vor-vergangenen Jahr ebenso. Wir hätten ihn gerne einmal kennen gelernt. Die kleine Kirche ist gut zur Hälfte gefüllt und die Messe währt, bis sie – kling – klang – kling – klong – nach einer Stunde durch die Schranke am Bahnhof wieder ausgeläutet wird.

Als wir heimkommen, hat das Kleine Volk im Korbsessel neben der Krippe schon die Bescherung vorbereitet. Wir packen ihr Geschenk aus, ein Buch von Kari Köster-Lösche. Es müsse hier im Huus vorgelesen werden, werden wir informiert, damit Nis Puk mithören könne. Denn Pukken kämen auch drin vor, in

Alfons, die Weihnachtgans.

Es sei ein Buch von (für Menschen) hohem erzieherischen Wert, werden wir informiert. Ich schlage die letzte Seite auf und erkenne:

Und die Moral von der Geschicht, eine
Gans, die isst man nicht!

Und so bleibt es heute Abend bei Wein, Brot und Käse.

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Donnerstag, 25. Dezember 2008

Einen blauen Himmel hatte uns die Wetterfrau für heute versprochen, doch er erweist sich als grau. Allerdings zahlen wir auch keine Kurtaxe, um über die große Sandbank von St. Peter-Ording zur Wasserkante zu stapfen. Mein Mädchen lässt ein paar Muscheln für kommende Bastelarbeiten mitgehen.

Die Arche Noah hat geöffnet, wirkt jedoch nicht sonderlich einladend, und so ziehen wir es – da momentan weder eine Sturm- noch eine Sintflut droht – vor, bei einem Italiener im Ort ein Stück warmen Apfelstrudel mit Eis und Sahne zu verspeisen. € 6,40 für zwei Personen, wenn das nicht ein geniales Preis-Leistungsverhältnis ist!

Von den Restaurants und Cafés abgesehen ist in St. Peter-Ording ‘Tote Hose’, wo stecken die Bewohner der vielen Ferienwohnungen? Auch das Kino hat seine Pforten geschlossen, und wie es scheint nicht nur heute sondern auf Dauer. Beim Spaziergang durch den Ort fällt uns auf, dass überall dort, wo in den letzten Jahren ein Gebäude abgebrannt ist (mindestens drei fallen uns ein) der Neubau sehr viel schöner geworden ist. Vielleicht kommt ein guter Friesengeist mal auf die Idee, das Luv & Lee abbrennen zu lassen – wenn gerade keiner drinnen ist, versteht sich.

Daheim im Huus hocken unsere Mitreisenden immer noch im Korbsessel neben der Krippe. Immer noch? Eileen Óg protestiert. Sie seien auch unterwegs gewesen und soeben erst zurückgekommen. Zurück von einer Kutterfahrt! Nis Puk kenne da ein Klabautermädchen auf der Jule Marie, die sie aufs Schiff gelassen hätte. Henrietta heiße die junge Dame. Nis Puk sei wohl ein wenig in sie verliebt, flüstert sie leise.

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Freitag, 26. Dezember 2008

Heute ist der Himmel aber wirklich blau. Die Sonne scheint, und wir wandern über den Eiderdeich. Auf der Bank vor der von einem Strauch mit noch roten Beeren überwucherten rostigen alten Spundwand lässt es sich wunderbar in der Sonne sitzen und über den großen Strom ins Heilige Römische Reich deutscher Nation blicken, dessen Nordgrenze die Eider bis zu seinem Erlöschen im Jahr 1811 bildete. Vor uns auf dem Wasser turteln zwei Eiderenten, und am Himmel über uns versuchen Wildenten eine 1er-Formation aufzubauen. Allerdings können sie sich nicht auf ein Konzept einigen, so dass es eher wie eine 11er-Formation wirkt.

Am Eiderufer, © 2000 Juergen KullmannWeiter geht es, unten am Wasser entlang bis zum Hotel Fernsicht und dann über die gepflasterte Deichkrone. Nur wenige Menschen kommen uns entgegen. Am Ende der befestigten Wegstrecke ein Tor, dahinter beginnt der ‘Schafsdeich’. Oft ist der Trampelpfad zu matschig zum Weitergehen, doch über Nacht hat es leicht gefroren, so dass der Boden heute trittfest ist. An manchen Stellen liegt Raureif auf den Wiesen. Man muss aufpassen, um nicht über einen der vielen Maulwurfshügel zu stolpern, die sich im langgestreckten Zickzack über die Deichkrone ziehen.

Wieder daheim wird ein bisschen gewerkelt, ein Regälchen im Appartement-Bad angebracht. Wie viele Ehekrisen, Scheidungen und Familiendramen entwickelten sich wohl schon aus der Frage, welche Schrauben und Dübel zueinander passen und zur Anbringung einer kleinen Ablage an einer Rigips-Wand geeignet sind? Nachdem sich die Gemüter beruhigt haben und das Regälchen – wenngleich die vierte Schraube sich lose in der Wand dreht – hängt, näht die Liebste noch ein Deckchen für das Schränkchen unter dem Regälchen. Anschließend werden über das Haus verteilt vier Rauchmelder installiert.

Das reicht für heute, nun müssen wir uns stärken. Was es gibt? Wolfsfilet mit Bratkartoffeln, Bohnen und Mintsauce, lautet unsere Antwort auf eine Anfrage der Gewerkschaft der Deichschafe Nordfrieslands.

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Sonnabend, 27. Dezember 2008

Das Wetter zeigt sich von seiner trüben Seite – macht nichts, so können wir die beiden Husumer Baumärkte (Max Bahr und Hagebaumarkt) abklappern ohne etwas zu verpassen: Eine Lampe für die Schlafempore im Appartement, Türgriffe für den Zugang zum Spitzboden, Farbe für den Heizungsraum sowie zwei Regalschienen (sie werden später passen) und 14 Regalträger (sie werden später, da mit 30 cm zu tief, nicht passen) für ein Regal neben der Heizung. Dazu eine Handvoll Dübel und Schrauben sowie einen Topf Beize zur Beseitigung von ein paar Macken in den historischen Küchendielen. Die Farbe wird sich in Kürze als zu dunkel erweisen und – da die Dose bereits geöffnet ist– nicht mehr umtauschbar sein.

Von Husum geht die Fahrt zurück auf die Halbinsel Eiderstedt. Kerlins Kupferpfanne in Garding ist das Ziel. Kein ‘Wolf Provencale’ (unser Schaf liest mit) dieses Mal, sondern Rösti Hubertus für die Liebste und Rösti an Pute Williams für den Chronisten. Auch wenn die Tage seit einer Woche wieder länger werden, beginnt es schon zu dämmern, als wir das Restaurant verlassen. Zugleich zieht sich der graue Vorhang am Himmel zurück und im Westen, da wo das Meer liegt, zeigen sich orange leuchtende Streifen dicht über dem Horizont. Noch einmal an die Wasserkante fahren? Doch nicht lange währt der Zauber und bald ist wieder alles grau in grau. Wir kutschieren ins Huus zurück.

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Sonntag, 28. Dezember 2008

Lampe auf der Schlafempore nicht angebracht”, schreibt mien Deern in ihr Renovierungstagebuch. Die Stromzuführung war uns zu obskur, da muss eine Fachfrau oder ein Fachmann ran. Statt dessen wird die in unserer Abwesenheit von unserem Maurer eines Fensters (die beiden verbliebenen sollten wohl reichen!) beraubte Wand im Heizungsraum gestrichen, ehe wir zu einem Spaziergang durch die graue Stadt am grauen Fluss aufbrechen.

Wieder daheim fahren wir nach ein paar weiteren kleineren Bastelarbeiten im und am Haus in das Gewerbegebiet von St. Peter-Ording, wo in der Halle eines ehemaligen Bierverlags ein Kunstgewerbemarkt abgehalten wird. Wir schlendern an der recht übersichtlichen Zahl von Ständen vorbei, sind ‘nach dem Fest’ aber nicht mehr in der passenden Stimmung für das meist weihnachtliche Kunstgewerbe, dafür aber in Kauflaune für die im Preis herabgesetzte Unterwäsche in der neuen Zweigstelle des Kaufhauses Stolz gleich nebenan.

Zurück in uns Huus werden an der frisch gestrichenen Wand des Heizungsraumes vertikale Regalschienen angebracht … und dabei meldet sich der Hexenschuss zurück.

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Montag, 29. Dezember 2008

Weihnachten und das Wochenende sind abgehakt, der Himmel zieht sich zu, der Hagebaumarkt in Husum macht seine Tore wieder auf, und wir geben 14 Regalträger 30 cm für 14 Regalträger 25 cm in Zahlung. Dazu kommen 14 Bretter von 25 cm Tiefe, zurechtgeschnitten auf 106 cm Länge. Beobachtet wird der Vorgang des Zurechtschneidens und Umstapelns der Bretter auf einen Einkaufswagen gestützt vom Chronisten, der es mit seinem Rückenproblem nur schwer ins Auto und wieder heraus geschafft hatte und sich auf eine Beobachterrolle beschränkend alle wesentlichen Aktivitäten seinem Mädchen überlässt.

Bei dieser Beobachterrolle bleibt es dann auch bei der Endmontage nämlichen Regals im Heizungsraum. Zwischendurch schneit Frau W. herein. Wir begleichen unsere Schulden und werden unser Weihnachtspräsent los.

Habe ich noch etwas vergessen? Zu Mittag speisen wir im Roten Hahn. Der Rote Haubarg stand auch zur Diskussion, doch der hat montags geschlossen.

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Unser Leben in ‘Uns Huus’: Jahreswechsel 2008/2009
Bearbeitungsstand 03.11.2014