Kulturweihnachten

Jahreswechsel 2012 / 2013

 

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Ein Vormittagsausflug nach St. Peter-Ording. Mien Deern erwirbt nach einigem Zögern einen Wellensteyn-Mantel, von € 599 auf € 399 im Preis herabgesetzt. Ob es stimmt oder nicht, das Argument überzeugt. Wieder daheim vermisst sie ihren Lieblingsschal, er ist wohl im Laden liegengeblieben. Ein Anruf bestätigt das und stellt ihn bis zur Abholung an einem der nächsten Tage sicher.

Am Abend folgt der vierte Akt der diesjährigen Kulturweihnachten, in welchem die Tönner Speeldeel das plattdeutsche Stück Minsch sien mutt de Minsch von Günther Siegmund aufführt. Günther Siegmund, war der nicht mal beim … ? Richtig, Wikipedia verrät’s: Von 1970 bis 1979 war der Autor Intendant des Ohnsorg Theaters, und 1970 wurde sein Stück ebendort mit der damals 26-jährigen Heidi Mahler in der weiblichen Hauptrolle uraufgeführt.

Die Tönner Speeldeel hat Probleme junge Nachwuchsspieler zu akquirieren. Also ist die heutige Besetzung der Rolle ein paar Jahre älter, doch anders als seinerzeit beim Ohnsorg Theaters geht es auf den Brettern der Tönninger Stadthalle tatsächlich ‘op Platt’ zu. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Dorfpolizist, der mit einer recht eigenwilligen Auslegung des Gesetzes zu Beginn des Stückes einen Landstreicher zum Holzhacken bei einer Witwe, die er zuvor bestohlen hatte, verdonnert, statt ihn dem Gericht zuzuführen. Sein junger ‘pflichtbewusster’ Kollege versucht, durch einen ‘Tipp’ an die vorgesetzte Behörde Nutzen daraus ziehen. Ein paar Tage später taucht vor dem Fenster der Wache hilfesuchend der Kopf einer unbekleideten – man sieht allerdings nur den Kopf – vorgeblichen Touristin auf, der, so klagt sie, während des Badens im See die Kleidung gestohlen wurde. Im Verlauf des Stückes wird sie sich als Undercover-Inspektorin der Polizeibehörde herausstellen. Und schließlich platzt der Gemeindediener herein und berichtet von der Entdeckung einer ominösen Frauenleiche im Schilf …

Ich will die Geschichte jetzt nicht nacherzählen, habe auch manches wieder vergessen, doch sind wir uns auf dem Heimweg einig, dass es die bislang beste Aufführung der Tönner Speeldeel war.

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Freitag, 28. Dezember 2012

Der morgendliche Blick aus dem Veluxfenster des Bades zeigt, dass bei den Künstlern am Herrengraben an der Rückseite des Hauses ein großes Gerüst aufgestellt wird. Doch warum reicht es rechterhand fast zwei Meter ins Nichts? Renovierung der Fassade ihres Luftschlosses, erfahren wir auf Umwegen von Nis Puk, der sich mit den hiesigen Sitten und Gebräuchen besser auskennt.

St. Peter-Ording, Salzwiesen © 2012 Jürgen KullmannWir fahren nach St. Peter-Ording, im Wellensteyn-Laden den gestern dort vergessenen Schal abzuholen. Die Sonne spiegelt sich in einem Priel auf den Salzwiesen und wir wandern über den Deich ins Dorf. Das Dorfcafé öffnet im Moment unserer Ankunft, und das ist auch gut so, denn fünf Minuten später sind alle Tische besetzt.

Am Abend kommen unsere Hausversorger zum Labskaus-Essen. Selbst ihren Kindern schmeckt’s! Wir sitzen noch am Tisch, da tritt ein anderer Nachbar, genannt das Raubein, durch die Hintertür; sien Fru hat Spätschicht und er offensichtlich Langeweile. Unsere Hausbetreuer bleiben bis gegen zehn und das Raubein hält es aus, bis kurz nach Mitternacht der Rotwein ausgetrunken ist.

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Sonnabend, 29. Dezember 2012

Am Vormittag schlendern wir durch Husum, sitzen schließlich auf einer Bank am Außenhafen und sinnieren über den ‘Weihnachtsstress’. Haben wir uns in diesem Jahr zu viel vorgenommen, zu wenig Zeit für uns selbst? Morgen Abend haben wir die Nachbarn von der Schmückerei zu uns eingeladen und übermorgen sind wir in der Süderstraße zu Gast. Und heute Abend? Da ist Kulturweihnachten, Teil V angesagt, Musik im Lütt Matten in Garding.

Um zwanzig Minuten vor neun stehen wir bei Lütt Matten auf der Matte, und es ist schon proppevoll. Wir finden gerade noch ein Tischchen, ordern ein Guinness und – mien Deern hat sich bereiterklärt, zurückzufahren – einen alkoholfreien Cocktail: ‘Wer mit dem Hasen tanzt’ nennt er sich. Das tat in dem Gedicht von Klaus Groth der Fuchs — und verspeiste den Hasen anschließend.

Lütt Matten ist eine nette Kneipe, und der Inhaber (nomen est omen) Rainer Martens, der das heutige Musikprogramm selbst mit Stimme und Gitarre bestreitet, kann sogar singen:

Schietegol, schietegol,
Schietegol, schietegol,
Nimm dat mit de Ruh,
Schietegol, schietegol …,

so seine plattdeutsche Interpretation von John Lennons Let it be, doch was uns ganz und gar nicht schietegol ist und wir verdrängt oder vergessen hatten, ist, dass es sich bei Lütt Matten um eine Raucherkneipe handelt. Die Luft hängt schwerer unter der Decke als es in der Hoch-Zeit der irischen Kneipenqualmerei in den Pubs an der irischen Westküste der Fall war, und der Rauch brennt in den Augen. Nach einer dreiviertel Stunde ergreifen wir die Flucht und lauschen lieber daheim plattdeutschen Liedern von unseren CDs.

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Sonntag, 30. Dezember 2012

Am Evershop-Siel, auch Tetenbüllspieker genannt, gibt es eine ‘grüne’ Badestelle und einen kleinen Segelhafen. Es ist der vorletzte Tag des Jahres. Der Himmel ist grau mit ein paar blauen Flecken und es weht eine steife Brise. Eine Brücke führt über den Siel. Wir wandern auf dem asphaltierten Weg am Wasser entlang gen Osten, vielleicht drei bis vier Kilometer weit. Das Wasser rückt näher ans Ufer, und ein Regenbogen spannt sich vor dem nun fast schwarzen Himmel übers graugrüne Meer, doch bis ich die Kamera aus dem Rucksack geholt und das Objektiv gewechselt habe, ist er verschwunden. Derweil steigt die Flut, und selbst in Ufernähe ragen die Buhnen nur noch ein paar Zentimeter aus dem Wasser. Ein Gruppenausflug von Vögeln hat sich auf ihnen niedergelassen und lauscht ihrer Reiseleitung.

Wir kehren um und sind gerade wieder am Auto, als ein Hagelsturm einsetzt. Es blitzt und donnert, das richtige Wetter um Haus Peters, der alten Landhökerei von Tetenbüll, nach längerer Zeit mal wieder einen Besuch abzustatten. In dem historischen Kaufmannsladen wohnt zwischen alten Regalen ein Teddy namens Ted, dessen Abenteuer in einem kleinen Buch festgehalten sind, das es hier zu kaufen gibt. Hinten in dem Buch ist eine Seite freigehalten, auf die der Käufer ein Foto von sich selbst einkleben kann. Ein Exemplar hatten wir im letzte Jahr erworben, und  … einen Moment mal, was brummt und wackelt da so in meinem Rucksack?

Ich öffne den Reißverschluss, und da hockt doch unser dreiarmige invalide Seebär Paddy-the-Sailor, der, einst an der Westküste Irlands von den Wellen an den Strand gespült, nach einer langen Reise bei unserem Nis Puk in Tönning Unterschlupf gefunden hat. Nur weil ihm ein Arm fehle, sei er noch lange nicht invalide, protestiert er, und er hoffe doch sehr, dass ich eine Kamera dabeihabe für das noch fehlende Foto von ihm auf der letzten Buchseite. Das habe ich, wie es der Zufall will, und die Fotosession beginnt:

Paddy-the-Sailor in Tetenbüll, © 2012 Juergen Kullmann

*  *  *

Am Abend kommen Nachbarn zum Essen, es gibt Hirschgulasch mit Rosenkohl und als Vorspeise Parmaschinken an Melone. Zum Nachtisch wird die restliche Mascarpone-Crème von vorgestern mit Beeren und karamellisiertem, vom Sauerbraten übergebliebenen Pumpernickel zu einem neuen Dessert aufgetakelt. Man sitzt zusammen, bis der letzte Tag des Jahres beginnt.

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Montag, 31. Dezember 2012

The same procedure as last year: Bis Mitternacht ein gemächliches Hocken vor dem Raclette-Öfchen bei Nachbarn in der Küche. Deren Lütte scheint ein bisschen enttäuscht zu sein, dass Lotta nicht mitgekommen ist. Um Mitternacht dann die übliche Knallerei auf der Süderstraße gefolgt von einem multikulturellen friesisch-deutsch-niederländisch-hamburgischem Nachbarschaftstreffen bis um drei Uhr in der Früh.

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1. bis 5. Januar 2013

Am Dienstag, dem ersten Tag des Jahres, sind wir müde. Das Wetter bleibt ungemütlich, doch ein paar Auflockerungen am Mittwoch locken uns aus dem Haus und auf verbotenes Terrain, um den historischen Tönninger Güterbahnhof von der Gleisseite zu fotografieren. Das Schild ‘Durchgang verboten’ muss ich übersehen haben. Das heute in Privatbesitz befindliche Verladegebäude gilt als Meisterleistung der frühen Bahnarchitektur. Viel habe ich über den Bau nicht herausfinden können, nur dass er nach Plänen des Architekten Michael Gottlieb Bürkner Bindesbüll (1800 – 1856) “im Stil der sogenannten niederländischen Renaissance mit roten Steinen im weißen Verbund” errichtet wurde, ein Stil der auch auf uns Huus zutrifft:

Paddy-the-Sailor in Tetenbüll, © 2012 Juergen Kullmann

In den folgenden Tagen blieb es grau und regnerisch – Zeit, um Briefe zu schreiben. Der letzte und längste hat nun auch die längste Wegstrecke vor sich, vom nördlichsten Zipfel in die südlichsten Ecke des Landes:

Hildegard an die fünf K’s aus Oberfranken

“Moin tosamen — Weihnachten ist vorbei, das neue Jahr hat begonnen, und morgen geht es zurück nach Dortmund. Wie üblich haben wir die Feiertage im Huus verbracht. In diesem Jahr fiel Weihnachten recht grau und feucht aus, um so mehr Zeit hatten wir, unsere Weihnachtspost zu lesen und die Überraschungspäckchen genussreich zu öffnen. Vielen Dank für das Bayreuther Kochbuch! Regionale Kochbücher liebe ich, koche manchmal auch danach. Nis Puk konnte sich aber bei so vielen Kloß-Rezepten bislang nicht entscheiden, mit welchem wir beginnen sollen. Weltoffen wie er ist, kann er sich durchaus vorstellen, seine Grütze durch bayerische Spezialitäten zu ergänzen. Wir werden das Buch jetzt mit ins Ruhrgebiet nehmen, um dort das eine oder andere auszuprobieren. Was dann am besten klappt, werden wir ihm im Februar vorsetzen.

Gut zwei Wochen waren wir im Huus. Das Regenwetter hatte zur Folge, dass wir nacheinander diverse Nachbarn zum Essen eingeladen hatten. Auch unsere Hausverwalter haben wir bekocht. H. kommt aus Brandenburg und wusste nicht, wie man Labskaus macht. Als Kind hatten wir eine Nachbarin, bei der gab es diese Spezialität alljährlich zu ihrem Geburtstag. Ich fand ‘die Pampe’ schrecklich, doch später schmeckte mir das Gericht. Und so hatte ich einen ganz schönen Bammel wegen der Jüngsten unserer Gäste. Sie brachte noch eine Freundin mit, und ich war in Sorge, dass die kleinen Mädchen ob der Mahlzeit ähnlich zickig reagieren würden wie früher ich. Doch die Freundin war ganz begeistert und zog sie wohl oder übel mit.

So hatten wir durchaus lustige und nahrhafte Tage. Dank der neuen Heizung war es auch schön warm. Zwischen all den besinnlichen und fröhlichen Stunden ließen wir dann kurzentschlossen auch noch die Gefrier-Kühl-Kombination austauschen. Zwei Gäste hatten uns im November auf ‘seufzende Geräusche’ des alten Geräts hingewiesen, und da wir im Sommer schon genug Stress mit dem streikenden Heizkessel gehabt hatten, wollten wir uns ihn nicht unter einem anderen Vorzeichen zurückholen.

Wir würde euch gerne mal wieder im Huus treffen, doch in diesem Sommer wird es terminlich nicht klappen. Jetzt aber erst einmal viele Grüße an alle großen und kleinen K’s und die besten Wünsche für das neue Jahr.

Hildegard und Jürgen”

Das war er nun, der Jahreswechsel im Huus. Morgen in der Früh geht es nach Dortmund zurück, bis wir im Februar wieder für ein paar Tage vor Ort sind.

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Frühere Tagebücher


Unser Leben in ‘Uns Huus’: Jahreswechsel 2012/13
Letzte Bearbeitung 22.07.2019